Vorgeschichte

                    Der Umbau des Mehrzweckfahrzeugs ''Mellum'' 1995/96

                              Seehauptkapitäne K. Stockhorst und D. Szech,
                                                Dipl.-Ing. J. Schaaf
                                                Grafik: R. Schmacker

                     Vom Ölunfallbekämpfungsschiff zum Gewässerschutzschiff

                            - die Evolution eines Schiffes im Wandel der Zeit -

1.  Die Vorgeschichte

Auf keinem verwaltungseigenen Schiff hat es wohl innerhalb weniger Jahre so viele grundlegende Veränderungen gegeben wie auf dem Motorschiff (MS) "Mellum", dem "Flaggschiff' des WSA Wilhelmshaven. .

Begonnen hatte es eher schlicht: Als der Neubau 1984 als Mehrzweckfahrzeug (MZF) in Fahrt kam, anfangs noch ohne spezielle Kennzeichnung und Schornsteinmarke, wurde dieses zunächst im Tageseinsatz betrieben.
Aber bereits 1987 wurde, aus Gründen der Wirtschaftlichkeit und wegen der notwendigen schiffahrtspolizeilichen Präsenz auf See, der 24 Stunden-Betrieb für das Schiff eingeführt, der neben organisatorischen Umstellungen eine vollständige zweite Besatzung nebst ausreichendem Reservepersonal erforderte.
Gleichzeitig wurden auf beiden Bordwänden der Schriftzug "SCHIFFAHRTPOLIZEI'' (später durch “SCHIFFAHRTSPOLIZEI" ersetzt) und der "Bundesadler" als Schornsteinmarke angebracht, um auch nach außen die hoheitliche Funktion des Schiffes zu signalisieren.

Anfang 1991, als Voraussetzung für den bevorstehenden Einsatz der "Mellum" zur Ölunfallbekämpfung im Persischen Golf, erfolgte die erste größere Umrüstung: Einbauten einer Klima-Anlage und satellitengestützter Navigations- und Kommunikationseinrichtungen sowie Umbau von Tankkapazitäten. Während der 3monatigen Golf-Aktion lautete die Beschriftung dann

"GERMAN OILPOL CONTROL".

Im Zuge der Integrierung in den Verbund der in bestimmten Fällen von der 1994 etablierten "Küstenwache" koordiniert einzusetzenden Flotte von Behördenschiffen wurden die Kennzeichnung des Schiffes durch den Namen KÜSTENWACHE mit einer Markierung in den Farben der Bundesflagge ergänzt und das Hoheitszeichen am Schornstein durch ein neugeschaffenes Wappen ersetzt.

Die bisher größte Umstellung erfolgte jedoch Ende 1995 mit der unter dem Projektnamen "Schadstoffunfall-Bekämpfungsschiff" (SUBS) durchgeführten, aufwendigen Konversion in ein "Gewässerschutzschiff" (GS). Dieses neue Einsatzkonzept nimmt bis heute nicht nur die zuständigen Ressorts des WSA und andere mit dem umfangreichen Komplex der Bekämpfung toxischer und/oder explosiver Stoffe auf See befassten WSV-Stellen aussergewöhnlich in Anspruch, sondern fordert insbesondere von den inzwischen umfassend und intensiv geschulten Besatzungen ein hohes Mass an Einsatz- und Kooperationsbereitschaft, Beurteilungsvermögen und schliesslich Professionalität und Motivation.

 

2. Das Einsatzkonzept vor dem Umbau 1995

       Als Mehrzweckfahrzeug war die "Mellum" ursprünglich für folgende Basisaufgaben konzipiert und
       eingesetzt worden:

       - Tonnenlegen, Schiffahrtszeichenaufgaben;
       - Ölunfallbekämpfung;
       - Schleppen von Havaristen;
       - Eisbrechen (und Einsatz als Assistenzschiff für im Eis festsitzende Fahrzeuge);
       - Feuerbekämpfung zum Eigenschutz;
       - Schiffahrtspolizeiliche Aufsicht, Verkehrssicherung.

       Aufgrund der langjährigen Einsatzerfahrungen ist festzustellen, dass diese Aufgaben insgesamt optimal
       erfüllt worden sind.

 

 3.     Veranlassung für die Umbaumaßnahmen 1995/96

 3.1   Im Laufe der Zeit ist die "Mellum" zwar mehrfach modernisiert und nachgerüstet worden, so dass
        Schiff und Ausrüstung dem neuesten Stand entsprechen, dennoch machte die Verlagerung von
        Prioritäten auf dem Gebiet des Meeresumweltschutzes eine grundlegende Umrüstung erforderlich.
        Denn nicht nur Rohöl und Ölprodukte, sondern auch toxische und explosive Chemikalien und
        Gase werden in zunehmendem Maße über See transportiert, so dass entschieden wurde, erweiterte
        Vorkehrungen für die Abwehr von Gefahren durch solche Schadstoffe zu treffen.
        Schadstoffunfall-Bekämpfungsmaßnahmen einschließlich der Übernahme gefährlicher Ladungen
        (01 und Chemikalien) sowie das Abbergen von Personen bzw. Einsätze in durch austretende
        Ladungen gefährdeten Bereichen, erfordern unter Umständen auch das Einlaufen des
        Bekämpfungsschiffes in Bereiche mit kontaminierter Atmosphäre - mit entsprechenden Risiken
        für Menschen und Material.

 3.2    Eine unabdingbare Voraussetzung für solche Einsätze ist die Ausrüstung des Schiffes mit einem
         Gasschutzsystem, das einen zeitlich begrenzten Aufenthalt in solche Gefahrenzonen ermöglicht.
         Zur Umrüstung zum Schadstoffunfallbekämpfungsschiff wurden in der Werft HDW-Nobiskrug,
         Rendsburg, umfangreiche Umbau-, Ergänzungs- und Anpassungsarbeiten durchgeführt

         (Werftzeit: 03.09.i995- 29.12.1995).

         Die dabei angefallenen Kosten für die nunmehr nahezu vollständig abgewickelte Maßnahme belaufen
         sich auf rund 16,3 Mio. DM.

 4.     Technische Kurzbeschreibung des Umbaus

 4.1    Schutzluftanlage

 4.1.1 Umrüstung der Betriebsräume zu einer sogenannten "Zitadelle" (von der Außenatmosphäre
         hermetisch abtrennbarer Aufenthalts- und Betriebsbereich) für den Personen- und Anlagenschutz
         an Bord. Diese Zitadelle umfaßt die Brücke, den Wohn- und Aufenthaltsbereich mit 5 mbar und
         den Maschinenbereich mit 3 mbar Überdruck. Für die Luftreinigung wurde eine Filterstation
         installiert. Die vorhandenen Lüfteröffnungen wurden mit elektrisch gesteuerten Klappen versehen.
         Ferner wurde eine Schutzluftfiltereinheit, bestehend aus 4 Hauptfiltern und 3 Reservefilter, eingebaut.

 4.1.2 Einbau von Umluftkühlgeräten für die Temperaturregelung im Maschinenbereich und von
         Klimaanlagen für den Behandlungs- und Sicherheitsraum.

 4.1.3 Weil die relativ geringe, über den Schutzluftfilter in den Maschinenraum eingebrachte Luftmenge
         für die Versorgung der Dieselmotoren nicht ausreichen würde, mußten separate Luftkanäle
         eingebaut werden, welche den Motoren gefilterte Verbrennungsluft von Ansaugöffnungen
         unterhalb der Brücke bzw. von Achterkante Aufbauten/2. Aufbaudeck auszuführen.

4.2 Gasmeßanlagen

4.2. 1 Einbau einer Gasmeßanlage mit 8 Meßstellen an tiefliegenden Stellen auf dem Hauptdeck, an den
         Ansaugluftöffnungen der Dieselmotoren sowie vor und hinter dem Schutzluftfilter.

4.2.2  Installation eines Stoff-/Gas-Analysesystems zum Identifizieren, ggf. vorhandener Schadstoffe in
         der Außenatmosphäre und als Entscheidungshilfe für den weiteren Einsatz des Schiffes sowie als
         Sicherheitsmaßnahme für Besatzung und Bekämpfungspersonal .

4.3    Sicherheitsstation

         Installation einer Sicherheitsstation auf der Kommandobrücke. In diesem PC-gestützten Terminal
         sind alle für den Gasschutzbetrieb erforderlichen Bedien- und Überwachungselemente integriert,
         z. B. Anzeigen zu Lüfterklappen- und Tankventilstellungen, Füllständen der Ladetanks,
         Zitadellenluftdrücken und Abgastemperaturen.
         Die Alarm-, Warn- und Gasschutzüberwachungsanlagen sowie die Steuerung und Kontrolle des
         Gasmeßsystems sind gleichfalls in dieser Station eingebaut.

4.4    Feuerlösch- und Eigenschutzanlagen (Brandbekämpfung)

4.4. 1 Zusätzlich zu den vorhandenen vier 250 m3/h-Feuerlöschmonitoren wurde ein ausfahrbarer 1.200
        m3/h-Wasser-Monitor eingebaut. Alle Monitore haben eine Fernbedienung von der Brücke. Die
        Feuerlöschpumpe für den 1.200 m3/h-Monitor wurde an den Bb-Hauptmotor angehängt.

4.4.2 Für den Eigenschutz des Schiffes wurde zum Besprühen des Ladungsbereiches zusätzlich ein
        fernbedienbarer Wasser-/Schaummonitor mit einer Leistung von 250 m3/h auf dem Brückendeck
        installiert. Die Versorgung erfolgt über eine E-Pumpe (300 m3/h) bzw. über die an die
        Hauptmotoren angehängten Feuerlöschpumpen.

4.5    Maschinenbauliche Arbeiten

        Wegen der für den Gasschutzbetrieb erforderliche "elektrische" Leistungserhöhung waren die
        Kapazitäten der vorhandenen Dieselaggregate nicht ausreichend. Deshalb wurden ein neues
        Dieselaggregat mit 640 kW Leistung eingebaut. Der vorhandene alte 640 kW-Bugstrahldiesel
        wurde überholt und als Dieselaggregat weiterverwendet.
        Um einen ungefährdeten Gasschutzbetrieb für die Hauptdieselmotore und die neu installierten
        Hilfsdieselmotore sicherzustellen, wurden folgende Vorkehrungen getroffen:

4.5.1 Einbau von Schnellschlußklappen, um unzulässige Überdrehzahlen zu verhindern.

4.5.2 Einbau von Flammensperren in die Verbrennungsluftzuführungen, um Rückzündungen in die
        Atmosphäre auszuschließen.

4.5.3 Berstsichere Ausführung der Ansaugkanäle. Für die Hilfsdiesel wurde die nachgewiesene
        Druckfestigkeit von 17 bar als ausreichend angesehen. Bei den vorhandenen Hauptdieselmotoren
        war eine gleich geeignete Ausführung nicht möglich, deshalb wurden Druckentlastungsventile in
        den Ansaugkanälen eingebaut.

4.5.4 Automatische Reduzierung der Dieselmotorenbelastung über die Gaswarnanlage für den Fall, daß
        in der Luftansaugung brennbare Gase detektiert werden. In diesem Zustand gilt für alle
        Antriebsmotoren und Hilfsdiesel die Bedingung, daß die Ladelufttemperatur nach Turbolader
        135" C nicht übersteigen darf.

4.5.5 Einbau von Funkenfängern in die Abgasleitungen und Installation von Seewassersprühsystemen
        an den Abgasaustritten zur Kühlung der Abgase auf Temperaturen von max. 135" C. Einbau von
        elektronischen Drehzahlreglern an den Haupt- und Hilfsmotoren.

4.5.6 Reglerbegrenzung auf eine Mindestbrennstoffeinspritzung (Piloteinspritzung), um Zündaussetzer
        zu vermeiden und damit Zündungen unverbrannter Gase im Abgastrakt zu verhindern.

4.5.7 Sicherstellung der Gasdichtigkeit zum Maschinenraum durch entsprechend ausgeführte Anschlüsse
        an den Maschinen.

4.5.8 Einbau von Vorrichtungen, um das Eindringen von Außenatmosphäre über die
        Kurbelwannenentlüftung in die Maschinen zu verhindern. Hierzu wurden in die Entlüftungen der
        Hauptmaschinen Umschaltventile eingebaut, die bei Normalbetrieb zur Atmosphäre und bei
        Gasschutzbetrieb zum Ansaugkanal entlüften.
        Bei den Hilfsdieselmotoren ist eine ständige Rückführung in die Ansaugkanäle vorgesehen.

4.5.9 Für die Kühlung der Maschinenräume wurde eine durch Seewasser gekühlte Kälteanlage,
        bestehend aus drei Kompressoren, eingebaut. Für die größer ausgelegten Hilfsdiesel wurden die
        Außenhautkühlflächen vergrößert.

4.6   Schiffbauliche Arbeiten

4.6.1 Einbauten einer Ausgangsschleuse, eines Schutzluftraumes und eines mit den notwendigen
        medizinischen Einrichtungen ausgerüsteten Rettungs-Behandlungsraumes.

4.6.2 Verschiedene Türen wurden gasdicht ausgeführt. Sämtliche Außenfenster und Bullaugen wurden
        ausgewechselt und mit sprengwirkungshemmendem Glas, das einer Druckwelle von 30 KPa
        standhält, ausgerüstet. Im Brückenbereich wurden heizbare Scheiben eingebaut.

4.6.3 Das Fahrwerk des Bordkrans wurde ausgebaut und das Kranportal am Hauptdeck fest
        verschweißt. Der Kran ist damit nicht mehr verfahrbar.

4.6.4 Um den Kran auch in gefährlicher Atmosphäre betreiben zu können, wurden der
        Kranmaschinenraum und die Kanzel an das Überdrucksystem der Zitadelle angeschlossen. Für
        eine Bedienung von der Brücke aus wurde eine Funkfernsteuerung vorgesehen. Die
        Drehbereichsbegrenzung wurde durch Einbau einer Schleifringläufer- Stromzuführung
        aufgehoben.

4.6.5 Ersatz des vorhandenen Bugstrahlruders durch eine Anlage mit 1130 kW Diesel-Leistung. Das
        Bugstrahlruder wurde gegenüber der bisherigen Position um 1,5 m weiter vorne am Steven
        eingebaut.

4.7   Änderungen im Tank- und Ladetankbereich

4.7. 1 Die Ventile im Ladetankbereich wurden auf Betrieb mit Handklappen umgestellt.

4.7,2 Für die Beförderung von Flüssigkeiten mit einer höheren Dichte wurden die Tanks schiffbaulich
        verstärkt.

4.7.3 Die Ladetankentlüftungen wurden Achterkante Kran hochgezogen und mit
        Hochgeschwindigkeitsventilen ausgerüstet.

4.8    Elektrotechnische Arbeiten
        Der höhere elektrische Leistungsbedarf beim Fahren im Gasschutzbetrieb erforderte eine
        Anpassung der elektrischen Energieversorgung. Die Hauptschalttafel wurde entsprechend
        erweitert und umgebaut.

5.     Schulungen der Besatzungen und Übungen

5.1    Für die anspruchsvollen zusätzlichen Aufgaben der Schadstoffunfall-Bekämpfung mußte die
        Besatzung intensiv geschult und in die Bekämpfungsstrategien und -methoden sowie in den
        Umgang mit "problematischen" Stoffen eingewiesen werden. Neben der umfangreichen
        theoretischen Ausbildung wurde der Einsatz in gefährlicher Außenluft unter schwerem
        Atemschutz und mit spezieller Schutzkleidung eingeübt.

5.2    Einige Besatzungsmitglieder haben darüber hinaus eine Ausbildung als geprüfte Rettungssanitäter
        absolviert, so daß in einem eigens dazu ausgestatteten Behandlungsraum die medizinische
        Erstversorgung von Verletzten vorgenommen werden kann.

5.3    Die Organisation der Erstschulungsmaßnahmen beider Stammbesatzungen und des Reserve-
        personals der "Mellum" gemäß Abschlußbericht der Expertengruppe " Schadstoffunfallbe-
        kämpfung" wurde vom WSA Wilhelmshaven in eigener Regie und Verantwortung organisiert und durchgeführt.

5.4    Die sachgemäße Ausbildung von neuem Personal vor Antritt des Dienstes und die Fortbildung
        einschließlich Wiederholungsschulungen der derzeitigen Besatzung stellen wichtige
       
Daueraufgaben dar.

5.5    Darüber hinaus werden in regelmäßigen Abständen bordinterne Manöver sowie Übungsmanöver
        unter Federführung der Sonderstelle des Bundes zur Bekämpfung von Meeresverschmutzungen -
       
SBM durchgeführt, wobei neben den Verwaltungsfahrzeugen zur Schadstoffunfallbekämpfung
        u.a. auch die örtliche Feuerwehr eingebunden wird.

5.6    Insbesondere die umfangreich hinzugekommenen und größtenteils sensiblen Bekämpfungs-
        techniken und -geräte erfordern regelmäßige und sorgfältige Kontrollen und Wartungsarbeiten, die
        zwangsläufig sehr arbeits- und personalintensiv sind.

6.     Zusammenfassung

       Die aufwendigen Umbauarbeiten auf dem GS "Mellum" des Wasser- und Schiffahrtsamtes
       Wilhelmshaven zur Erfüllung von Aufgaben im gesamten Spektrums der
       Schadstoffunfallbekämpfung auf See sind erfolgreich abgeschlossen worden.
       Für die Erledigung dieser wichtigen und komplexen Verbundaufgaben steht nun ein weiteres
       leistungsfähiges, mit engagierter und speziell geschulter Besatzung ausgerüstetes Fahrzeug zur
       Verfügung.
       Damit ist ein weiterer, zukunftsweisender Schritt für den präventiven maritimen Umweltschutz
       realisiert worden.

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